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Pflege in Zeiten von Corona – Das zusätzliche Leiden der Angehörigen

1. Einleitung
Wenn ein Angehöriger in einem Heim gepflegt werden muss, ist die Situation für die Betroffenen und auch für die Familien äußerst schwierig. Die Liebsten können nicht mehr zu Hause wohnen, man muss sie abgeben und loslassen. Sie müssen fremder Obhut überlassen werden. Die einzige Verbindung, die zu den Angehörigen besteht, sind regelmäßige Besuche. Diese dienen der Aufrechterhaltung der Verbindung und des Familienzusammenhalts. Die menschlichen Beziehungen werden wenigstens so gepflegt, wenn man die Angehörigen schon nicht zu Hause haben kann. Daneben erfüllen Angehörigenbesuche eine gewisse Kontrollfunktion in dem Sinne, dass Angehörige sehen, wenn etwas gebraucht wird. Sie können auf Missstände aufmerksam machen, sie können oft auch auf Kleinigkeiten hinweisen wie beispielsweise, dass etwas benötigt wird, oder dass etwas benötigt wird oder man sich wünscht, dass etwas in der Pflege verändert wird. 

Spannungen oft alltäglich
In normalen Zeiten funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Angehörigen und Pflegeheimen zumindest in der Regel relativ reibungslos, wobei es auch schon zu normalen Zeiten zu Spannungen, teilweise erheblicher Art, kommen kann. 

2. Besondere Situation
Durch Corona hat sich die Situation von Angehörigen derjenigen, die in Pflegeheimen sind, dramatisch verschärft. Es gelten strikte Kontaktbeschränkungen.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Lage sehr unübersichtlich ist. Das hat mehrere Gründe, insbesondere liegt es am Förderalismus in der Bundesrepublik Deutschland. Schon die Heimgesetze sind landesrechtlich geregelt. Das bedeutet, dass jedes der 16 Bundesländer eigene Regelungen zur Heimunterbringung hat. Auch das Infektionsschutzgesetz weist die Verantwortung den Ländern zu. Das bedeutet, dass in jedem einzelnen Bundesland unterschiedliche Regelungen für Kontaktbeschränkungen auch in Heimen durch Verordnungen gelten. Einigkeit besteht lediglich darin, dass die Besuche soweit wie erforderlich eingeschränkt werden und jedes Heim für sich ein Hygienekonzept erarbeiten muss. Dies ist in allen 16 Corona-Verordnungen so vorgesehen. Dadurch wird die Unübersichtlichkeit noch weiter verschärft. Es bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als das in jedem einzelnen Heim tatsächlich unterschiedliche Hygienekonzepte und damit unterschiedliche Regelungen gelten.
Einig sind sich die Bundesländer lediglich darin, dass eine Sterbebegleitung zwischenzeitlich – was zu Beginn der Corona-Pandemie auch nicht erlaubt war – durchgeführt werden kann.
Die unterschiedliche Regelung für jede Einrichtung ist sinnvoll. In jedem Heim sind unterschiedlich viele Bewohner untergebracht. Die Räumlichkeiten sind ganz unterschiedlich gestaltet. Im Sommer ist ein Aufenthalt im Freien und ein Besuch dort viel leichter zu gestalten. In der kalten Jahreszeit muss das Heim die Möglichkeit haben, im Innenbereich genügend Räumlichkeiten, die für Besuche geeignet sind, zur Verfügung zu stellen. 

3. Situation der Pflegeheime
Auch die Pflegeheime haben erheblich unter der Corona-Pandemie zu leiden. Pflegeheime wurden von Anfang an zu regelrechten Corona-Hotspots. Das bedeutet, dass die Öffentlichkeit ein besonderes Augenmerk auf den Pflegeheimen hat. Dies ist auch richtig. Man darf nicht vergessen, dass in Pflegeheimen in aller Regel überwiegend Risikopatienten, nämlich alte Menschen und Menschen mit erheblichen Vorerkrankungen sind. Diese müssen besonders geschützt werden. 

Dünne Personaldecke
Hinzu kommt, dass Pflegekräfte überdurchschnittlich häufig von einer Corona-Infektion betroffen sind. Das bedeutet, dass in den Heimen erhebliche Personalausfälle durch Krankheiten zu verzeichnen sind. Hinzu kommt eine chronische Unterbesetzung der Pflegeheime mit Personal. das hängt zum einen mit der Personalpolitik zusammen, und damit, dass Pflegekräfte zu schlecht bezahlt werden und deswegen zu wenig Anreiz besteht einen Pflegeberuf zu ergreifen. An dieser Stelle rächt sich die Sparsamkeit der letzten Jahre, vor allem im Hinblick der Leistungen der Pflegeversicherungen. Heime sind Wirtschaftsbetriebe und wurden in den letzten Jahren von der Personaldecke her meist stiefmütterlich behandelt. Es ist deutliche Kritik daran anzubringen, dass Pflegeeinrichtungen - ebenso wie Krankenhäuser - als Wirtschaftsunternehmen betrieben werden können und dürfen. Dies ist ein aus Sicht des Verfassers ein systemischer Fehler. Das ändert nichts daran, dass in der aktuellen Krise die ohnehin oft dünne Personaldecke durch Erkrankung weiter ausgedünnt wird, die chronische Arbeitsüberlastung führt nachgewiesenermaßen ebenfalls dazu, dass Erkrankungen unter dem Pflegepersonal auftreten.

Fachspezifische Aufgabenteilung sinnvoll
Hinzukommt, dass ausgebildete Pflegekräfte oft Aufgaben übernehmen, die von ungelernten Kräften übernommen werden könnten. So werden beispielsweise Besucher von ausgebildeten Pflegekräften zu den Bewohnern begleitet und wieder hinausgebracht. Diese Aufgaben könnten ohne weiteres von nicht-ausgebildeten oder angelernten Kräften oder einem Sicherheitsdienst übernommen werden. Hierfür fehlt jedoch häufig das Geld. 

Hygienekonzepte benötigen zeitliche und personelle Ressourcen
Die Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass die ohnehin schon häufig prekäre Pflegesituation sich in vielen Fällen dramatisch weiter verschärft. Das Pflegepersonal hat weniger Zeit für die Pflege. Es müssen Hygienekonzepte erarbeitet werden und eine Vielzahl von Verwaltungsaufgaben übernommen werden, die ohne die Pandemie nicht übernommen werden müsste, so dass entsprechend die Zeit in der Pflege fehlt. 

4. Die Situation der Angehörigen
Für die Angehörigen bedeutet die Tatsache, dass ein Besuch nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt stattfinden kann einen tiefen Einschnitt in das soziale Gefüge. Das führt sehr häufig zu Frustrationen. Die Angehörigen sind häufig auch nicht mehr in der Lage, sich vom Pflegezustand ihrer Lieben in der gewohnten Art und Weise zu überzeugen. Nicht selten kommt es dann dazu, dass während eines Besuchs festgestellt wird, dass sich der Pflegezustand des Angehörigen – manchmal dramatisch – verschlechtert hat. Aus der Praxis von Roland Zarges kann berichtet werden, dass es zum Teil so weit geht, dass Dekubiti dritten und vierten Grades auftreten und hier Strafverfahren in die Wege geleitet werden müssen.
Sowohl die Situation und die Diskussion, ob, wann und wie lange man den Verwandten besuchen kann als auch die Fragen der Pflegeversorgung führen häufig zu Missständen und zu Missmut, Frustration und zu Streitigkeiten. 

5. Empfehlungen zum Umgang mit Konflikten
Es ist verständlich, dass auf beiden Seiten Frustration besteht. Für die Angehörigen gibt es nichts Schlimmeres, als den Lieben nicht mehr besuchen zu können und sicher optimal versorgt zu wissen, weil man sich davon überzeugt hat. Für das Pflegeheim, das gerne eine optimale Versorgung gewährleisten würde, gibt es kaum etwas Schlimmeres, als die Pflege nicht so leisten zu können, wie man sie leisten möchte. 

Ruhe bewahren
Wenn die eigenen Wünsche und Bedürfnisse aggressiv vorgetragen werden, wird die Pflegeeinrichtung in jedem Fall aus einer Abwehrhaltung heraus reagieren und dementsprechend wird ein Konflikt entweder entstehen oder ein bestehender Konflikt eskalieren. Nicht selten kommt es in Pflegeheimen in der derzeitigen Situation zu lautstarken Streitereien. In der Praxis kommen sogar Hausverbote und Strafanzeigen vor. Es ist zur Vermeidung solcher Auseinandersetzungen zu empfehlen, ruhig ins Gespräch zu gehen.
Wenn man Ruhe bewahrt und auch die andere Seite anhört und seine Anliegen entsprechend ruhig vorbringt, wird man im Regelfall eine einvernehmliche Lösung herbeiführen können. Dabei sollte und muss man von beiden Seiten her Verständnis für die andere Seite entwickeln. Sowohl die Pflegeeinrichtungen müssen die Situation der Angehörigen verstehen, die schlicht und einfach Angst um den Nächsten haben, den Nächsten bestmöglich versorgt wissen wollen, was nicht gewährleistet ist. Sie wollen die soziale Beziehung aufrechterhalten. Besonders tragisch ist die Situation von Angehörigen Demenzkranker. 

Gemeinsamen Weg finden
Auf der anderen Seite möchte das Heim selbstverständlich eine bestmögliche Pflege leisten und Besuche ermöglichen, die sehr wichtig sind. Sie kann dies aber zum Teil aus personellen Gründen, zum Teil aus räumlichen Gründen nicht. Hier muss ein möglichst gemeinsamer Weg gefunden werden. 

Öffentliche Aufmerksamkeit und Wertschätzung
Beide Seiten können sich die derzeitige öffentliche Aufmerksamkeit hinsichtlich der Pflegesituation zu Nutze machen. Wenn man gemeinsam vorgeht, besteht die Möglichkeit, dass entsprechende Gelder vom Staat zur Verfügung gestellt werden, um die Situation in den Pflegeeinrichtungen deutlich zu verbessern. Der Pflegebonus von 1.500,00 € pro Pflegekraft ist ein solches Beispiel. In der letzten Tarifrunde im öffentlichen Dienst wurde auch eine deutliche Anhebung der – mageren - Gehälter der Pflegekräfte vereinbart. Derzeit ist eine Bewegung in die richtige Richtung zu beobachten. Es ist sinnvoll, gemeinsam vorzugehen. 

Einzelsituationen berücksichtigen

Probleme im Einzelnen sollten mit Blick auch auf die Situation des anderen und des Bewohners besprochen werden und man sollte unbedingt versuchen, gemeinsame Lösungen zu finden. Nur so ist es möglich, zum einen die Pflege des Angehörigen bestmöglich tatsächlich sicher zu stellen, zum anderen Konflikte, die beiden Seiten erheblich schaden, zu vermeiden. Man darf nicht vergessen, dass solche Konflikte erhebliche Ressourcen, nicht zuletzt auch Zeit fressen. Diese Zeit fehlt dann in der Pflege. Das ändert nichts daran, dass man unbedingt auf Missstände und auf Unzulänglichkeiten hinweisen sollte. Diese sind dann auch abzustellen. In allen Pflegeverträgen ist im Regelfall vorgesehen, dass bestmögliche Pflege geschuldet wird. Diese kann auch eingefordert werden. 

Personalknappheit auch bei den Heimaufsichtsbehörden

Die Heimaufsicht ist personell in allen Bundesländern derart unterbesetzt, dass eine regelmäßige Kontrolle von Pflegeeinrichtungen kaum stattfindet, schon gar nicht unangemeldet. Insofern haben die Angehörigen eine wichtige Kontrollfunktion. Im Moment werden die Heimaufsichten mit Beschwerden geradezu überschwemmt und sind kaum in der Lage, kurzfristig Abhilfe zu schaffen. Daher empfiehlt es sich unbedingt, im direkten Kontakt zur Einrichtung die Dinge zu regeln. Gegebenenfalls kann man einen Schlichter, Vermittler oder Mediator zur Hilfe nehmen, der dann in der Lage ist zwischen den Parteien zu vermitteln und entsprechende Lösungen zu vereinbaren. Hier wird oft über sehr gute Erfahrungen in der Vergangenheit berichtet.  

Mit freundlicher Genehmigung von:

Roland Zarges
Rechtsanwalt; Spezialist für Personengroßschäden
21423 Winsen (Luhe)
Tel. 04171/6061355
E-Mail: info@zarges-schadensersatz.de


(Stand: 11/2020)

 
 
 
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