Die Betroffene, die sich vor dem Bundesverfassungsgericht zur Wehr setzte, wurde im September 2010 im Rahmen einer einstweiligen Anordnung unter vorläufiger Betreuung gestellt. Diese vorläufige Betreuung wurde dann von dem zuständigen Betreuer im Juni 2011 um sechs Monate verlängert. Das zuständige Betreuungsgericht gewährte dies, ohne die Betroffene anzuhören. Auch den zweiten Verlängerungsantrag des Betreuers bis 31. Oktober 2011 wurde stattgegeben, ohne die Betroffene anzuhören, sie wurde nicht einmal von den Entscheidungen in Kenntnis gesetzt. Die Betreuung endete mit Ablauf des 31. Oktobers 2011 durch Zeitablauf.
Aufgrund dieser Vorgehensweise beantragte die Klägerin vor dem zuständigen Amtsgericht die Feststellung, dass sie durch das Vorgehen der Betreuungsbehörde in ihrem Recht auf rechtliches Gehör nach Art. 103 I GG und ihrem Recht auf Gewährung des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 IV GG in Verbindung mit Art. 3 I GG beeinträchtigt wurde. Der in Art. 103 I GG gewährleistete Anspruch auf rechtliches Gehör soll garantieren, dass der Einzelne in einem Verfahren, das ihn betrifft, zu Wort kommen kann, um auf die Entscheidung Einfluss nehmen zu können.
Außerdem wollte die Klägerin vor dem Amtsgericht feststellen lassen, dass sie in ihrem Recht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. IV GG verletzt worden war. Unter diesem Grundrecht versteht man einen Anspruch auf möglichst effektiven und lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt. Das zuständige Amtsgericht folgte der Ansicht der Betroffenen nicht, auch das Landgericht wies die Fortsetzungsfeststellungsbeschwerde zurück, so dass das Verfassungsgericht daraufhin diese Angelegenheit zu bewerten hatte.
Nach dem Bundesverfassungsgericht wird die Klägerin in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht nach (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) und dem Recht auf rechtliches Gehör nach Art.103 I GG verletzt.
Persönliche Anhörung muss sein!
Das Recht auf freie und selbstbestimmte Entfaltung der Persönlichkeit sichert, nach Ansicht der dritten Kammer des Bundesverfassungsgerichts, jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann. Die Anordnung einer Betreuung beeinträchtigt dieses Recht. Deshalb, so die Richter aus Karlsruhe weiter, ist ein solcher Eingriff nur gerechtfertigt, wenn das zuständige Betreuungsgericht nach angemessener Aufklärung des Sachverhalts davon ausgehen darf, dass die Voraussetzungen für die Einrichtung oder Verlängerung einer Betreuung tatsächlich gegeben sind. In diesem Zusammenhang kann nur bei Gefahr im Verzug auf die Anhörung des Betroffenen verzichtet werden. Die Anhörung des Betroffenen muss dann in diesem Fall allerdings unverzüglich nachgeholt werden.
Daraufhin stellt das Bundesverfassungsgericht klar, dass durch die unterlassene Anhörung die Betreuung rechtswidrig wird. Daran ändert sich auch nichts, wenn der Betroffene durch das zuständige Beschwerdegericht angehört wird.
Des Weiteren stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass die Betroffene durch die Entscheidung des Landgerichts in ihrem Recht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 IV GG verletzt wurde. Das Betreuungsrecht wurde geschaffen, um die einschneidenden Folgen der voreiligen Entmündigung zu vermeiden. Unter diesem Gesichtspunkt ist es besonders wichtig, dass eine rechtliche Betreuung wirklich nur dann gestattet wird, wenn sie absolut notwendig ist. Um diese stark einengende Entscheidung rechtmäßig fällen zu können, muss der Betroffene, wie soeben dargestellt, angehört werden. Das Bundesverfassungsgericht hat dies in seiner Entscheidung verdeutlicht, und den Betroffen aufgezeigt das man sich wehren kann, gegebenenfalls aber auch muss.
Beschluss vom 23. März 2016 / 1 BvR 184/13
Autor:
Christian Winter
angehender Jurist, Journalist